Full resolution (TIFF) - On this page / på denna sida - II. Amos. Der Hirte als Prophet
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_ 5 —
Auf einmal stand ich im Vorhofe des "Tempels, mitten
unter der festfeiernden Menge. Männer und Frauen,
in kostbare Gewänder gehüllt, mit Gold und Edel-
steinen geschmückt, sangen und tanzten unter wü-
stem Lärm von Pauken und Psaltern. Andere saßen
an ’Tischen, die vollbeladen waren mit Wein und mit
Fleisch von gemästeten Kälbern; gerötete Gesichter,
halbberauschte Frauen, Opferrauch, Tierblut, Men-
schenschweiß.
‘ Weh mir, daß meine Augen diesen tiefen Verfall
meines Volkes schauen mußten! Wie konntest du so tief
sinken, mein Volk Israel! Wie wagt ihr es, unseren Vater
im Himmel zu lästern mit solch abscheulichen. Festen,
mit Kälbern und Wein und wildem Geheul! Wie könnt
ihr solche Gotteslästerung begehen, die gewissenlose
Priester Religion zu nennen wagen? Gerade hier, auf
der Höhe von Bet-El, an dieser geheiligten Stätte, an
der unser Vater Jakob mit reinem Herzen Gott gesucht
und gefunden — ohne Priester, ohne Blutopfer, ohne
lärmende Feste! Ein nackter Stein wurde an dieser Stelle
errichtet, wo jetzt dies stolze Reichsheiligtum steht. Ein
frommer Mann, gleich mir unter seinen Schafen auf-
gewachsen, ein einsamer, armer Mann, der nichts besaß
als seine reine unverdorbene Seele, hat an diesem ge-
segneten Orte Gott in seinem Innern erlebt; hier
schaute er die Leiter, die unsere Erde mit dem Himmel
verbindet. Dies war echte Frömmigkeit: die Erhebung
der einsamen Seele zum selbsterlebten Gott. Das war
die Religion des gottesfürchtigen Menschen, keine
Augenweide für die Menge, kein angelernter Priester-
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